Preisträger: ROMAN GRAF
Der Studer/Ganz-Preis 2008 geht an Roman Graf für sein Romanmanuskript «Herr Blanc». Der Preis besteht aus Fr. 5000 und der Veröffentlichung im Limmat Verlag im Herbst 2009.
Eingegangen waren 2008 bei der Studer/Ganz-Stiftung 36 Prosamanuskripte (2006: 29), aus denen eine siebenköpfige Jury den Roman «Herr Blanc»auswählte. Der Autor, Roman Graf, ist 1978 in Winterthur geboren. Nach einer Lehre als Forstwart und der Tätigkeit als Behindertenbetreuer studierte er Publizistik an der Schule für Angewandte Linguistik in Zürich und absolvierte das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig, das er mit dem Diplom abschloss. Heute lebt er als Autor in Winterthur und Leipzig.
«Herr Blanc» ist das Psychogramm eines Sonderlings aus der gemäßigten Zone des Wohlstands; sein Leben wird in kleinen biographischen Einheiten in wahnwitziger Konzentriertheit erzählt. Man lächelt über diesen Herrn Blanc, doch seine Schwäche, sein Ernst, seine Persönlichkeit lassen plötzlich die Umwelt lächerlich erscheinen. Nach Heikes Tod ist für Herrn Blanc die vollkommene Liebe nur noch in der Utopie möglich. Am Ende seines Lebens macht er sich auf den Weg dorthin, er verlässt seine Wohnung, sein bisheriges Leben und den Roman.
Laudatio von Kristin T. Schnider, Jurymitglied pdf herunterladen
Autorenporträt
Roman Graf, geboren 1978 in Winterthur. Lehre als Forstwart, Behindertenbetreuer an einer Schule, einige Jahre journalistische Tätigkeit, Studium der Medien/Publizistik an der Schule für Angewandte Linguistik in Zürich, Diplom Deutsches Literaturinstitut Leipzig. Ab September 2009 Master-Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Mara-Cassens-Preis für den ersten Roman 2009. Werkjahr der Stadt Zürich 2010. Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 2010. Förderpreis 2012 der Stadt Winterthur. Shortlist für den Schweizer Buchpreis 2013. Lebt in Berlin und Winterthur.
Buchdaten
Roman Graf. Herr Blanc. Roman
Limmat Verlag, Zürich 2009
220 Seiten, gebunden ISBN 978-3-85791-585-7
www.limmatverlag.ch
Inhaltsangabe
Als junger Mann verlässt Herr Blanc am Ende des Studiums in Cambridge seine Freundin Heike, die, ohne dass er sich dessen bewusst wäre, seine große Liebe ist, mit der er glücklich werden könnte. Nach vielen einsamen Jahren in der Schweiz heiratet er Vreni, eine Vernunftehe. Als Herr Blanc kurz vor seiner Pensionierung steht, führt ihn das Schicksal nach Polen und zu Heike, die dort begraben liegt.
«Herr Blanc» ist das Psychogramm eines Sonderlings aus der gemäßigten Zone des Wohlstands; sein Leben wird in kleinen biographischen Einheiten in wahnwitziger Konzentriertheit erzählt. Man lächelt über diesen Herrn Blanc, doch seine Schwäche, sein Ernst, seine Persönlichkeit lassen plötzlich die Umwelt lächerlich erscheinen. Nach Heikes Tod ist für Herrn Blanc die vollkommene Liebe nur noch in der Utopie möglich. Am Ende seines Lebens macht er sich auf den Weg dorthin, er verlässt seine Wohnung, sein bisheriges Leben und den Roman.
Roman Grafs literarisches Debüt ist ein trauriger, skeptischer und zugleich leichter Roman mit einem eigenen, verhaltenen Humor. Er entwirft das Charakterporträt eines Menschen, den man mögen kann oder nicht, den man aber nicht wieder vergessen wird.
Textprobe
Herr Blanc schritt auf die Haltestelle zu und setzte sich auf die Bank, die an der Rückwand des Häuschens befestigt war. Während er auf den Bus wartete, dachte er an Cambridge zurück, wo er jetzt gerne hingefahren wäre, wenn er gekonnt hätte. Damals hatte er nach einer kurzen Eingewöhnungszeit eine deutsche Studentin mit dem Namen Heike kennengelernt, die sich in ihn verliebte. Er konnte auch heute noch mit Recht sagen, dass er dazu, zumindest am Anfang, kaum Wesentliches beigetragen hatte; er war sich vom ersten Moment an bewusst gewesen, dass eine Beziehung, im Ausland begonnen, keine große Zukunft versprach, es sei denn, die Frau wäre bereit gewesen, mit ihm in die Schweiz zu kommen – aber selbst dann hätte es noch vieles zu beachten gegeben.
Heike war dunkelhaarig und kleiner als viele der anderen Studentinnen, schlank, aber nicht mager, weshalb sie häufig einen Rock oder ein Kleid trug, das manchmal für seinen Geschmack ein wenig zu bunt und zu gewagt geschnitten, aber noch im Bereich des Anständigen war. Sie hatte ihm angegeben, und nach einigen Nachfragen seinerseits auch beteuert, dass sie aus einer adligen Familie stamme und ihre Mutter einen Teil ihrer Kindheit in einem böhmischen Schloss verbracht habe, und ihm war klar geworden, dass in diesem besonderen Fall ein extravaganter Kleidungsstil nicht unangemessen war. Natürlich war er zurückhaltend geblieben, hatte sich von der beteuerten, aber nie bewiesenen adligen Herkunft nicht blenden lassen, zumal er, als Schweizer, solange er betreffend seiner nicht sehr wohlhabenden Familie diskret blieb, angesehen war und sich vor niemandem verneigen musste. Selbst wenn sich die adlige Herkunft als ein Märchen hätte entpuppen sollen, Heike war zumindest reich, wie fast alle Studenten in Cambridge, von denen viele aus den verschiedensten Ländern angereist kamen. Sie kaufte sich die teuersten Kleider, aber niemals ohne vorher genau abzuwägen, ob die Qualität den Preis rechtfertigte, und da ihm, im Gegensatz zu ihr, für diese Beurteilungen die Fachkenntnis fehlte, wurde ihm bewusst, dass er es als junger Schweizer Student aus bescheidenen Verhältnissen mit einer Dame von Welt zu tun hatte. Noch mehr imponierte sie ihm jedoch, als er merkte, wie sehr sie bereit war, mit ihm zu teilen, ganz offensichtlich ohne auf daraus sich ergebende Vorteile ihrerseits zu achten, so dass er sich gezwungen sah, sich diesen Gepflogenheiten anzupassen, zuerst aus Gründen der Höflichkeit, dann nicht ohne eigenes Glücksempfinden und öfter sogar mit Stolz: er bot der unverheirateten, in Aussehen und Benehmen adlig wirkenden Tochter einer reichen Familie bei Nässe und Kälte seinen Regenschirm und sein Jackett an, half ihr abends bei den Essays und überlegte sich ständig, wie er ihr eine Freude machen konnte. Sie freute sich jedes Mal über seine Blumen, und wenn er nach einem Kuss ihre Wohnung betrat, versuchte er über den Geruch zu erraten, was es zu essen gab.
© Limmat Verlag, Zürich
Jury
Alexandra Kedves, Erwin Künzli, Beat Mazenauer, Daniel Rothenbühler, Kristin T. Schnider, Liliane Studer, Martin Zingg
Moderation: Theres Roth-Hunkeler