Preisträgerin: HENRIETTE VÁSÁRHELYI
Der Studer/Ganz-Preis 2012 geht an Henriette Vásárhelyi für ihr Manuskript «immeer». Der Preis für das beste unveröffentlichte Prosadebüt ist mit 5000 Franken dotiert und verbunden mit einer Veröffentlichung im Dörlemann Verlag im Herbst 2013.
Aufgrund der diesjährigen Ausschreibung gingen bei der Studer/Ganz-Stiftung 47 Prosamanuskripte ein, aus denen eine siebenköpfige Jury den Text «immeer»auswählte. Die Preisträgerin Henriette Vásárhelyi, geboren 1977 in Ostberlin und aufgewachsen in Mecklenburg, ist ausgebildete IT-Systemkauffrau und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Derzeit absolviert sie ein Masterstudium Contemporary Arts Practice an der Hochschule der Künste in Bern. Henriette Vásárhelyi lebt in Biel.
Im Roman mit dem Arbeitstitel «immeer»erzählt eine junge Frau vom Verlust eines Freundes, von der Zeit davor, der Trauer und den Versuchen, zurück in den Alltag zu finden. Die Jury ist begeistert von diesem verstörenden, fordernden Text, der zur Auseinandersetzung zwingt und gleichzeitig keine Identifikation bietet. Ebenso überzeugend wirke die Gestaltung des Textes, der – im Präsens erzählt – eine Vielschichtigkeit aufweist, die Fragen aufwirft und Antworten verweigert.
Der Studer/Ganz-Preis für den besten unveröffentlichten Erstling einer Autorin oder eines Autors unter 42 wird in diesem Jahr zum vierten Mal verliehen. 2006 ging er an Simona Ryser für den Roman «Maries Gespenster», der 2008 auch mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde. 2008 verlieh die Stiftung den Preis an Roman Graf für den Roman «Herr Blanc», für den er 2009 den Mara-Cassens-Preis und 2010 den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis erhielt. 2010 ging er an Maja Peter für den Roman «Eine Andere», die 2012 mit einem Werkbeitrag des Kantons Zürich und dem Spezialpreis der Literaturkommission der Stadt Bern ausgezeichnet wurde.
Die öffentliche Preisverleihung fand am 28. November im Literaturhaus Zürich statt. Die Laudatio hielt Ulrike Ulrich, Henriette Vásárhelyi liest aus ihrem Manuskript.
Laudatio von Ulrike Ulrich, Jurymitglied pdf herunterladen
Autorinnenporträt
Henriette Vásárhelyi, geboren 1977 in Ostberlin und aufgewachsen in Mecklenburg, ist ausgebildete IT-Systemkauffrau und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Derzeit absolviert sie ein Masterstudium Contemporary Arts Practice an der Hochschule der Künste in Bern. Shortlist für den Schweizer Buchpreis 2013. Henriette Vásárhelyi lebt in Biel.
Buchdaten
Henriette Vásárhelyi. immeer. Roman
Dörlemann Verlag, Zürich 2012
192 Seiten, gebunden
ISBN 9783908777939
Inhaltsangabe
Der Roman immeer beginnt am Meer und endet am und im Meer. Dazwischen erzählt Eva von Jan, dem Geliebten, der tot ist, von Heiner und Jan und der Dreier-WG, von Monn, den sie kennenlernt, weil er Jans Handy-Nummer übernommen hat. Und sie erzählt vom Schmerz, als Jan krank war und starb, und wie sie sich verschanzt in der Wohnung, die an früher erinnert. Eva spricht über ihren Verlust mit sich und mit den Fliegen, nicht aber mit den Menschen, die ihr helfen wollen.
Textprobe
Nur Jans Schopf und seinen Nacken sehe ich, als ich die Straße hinter dem Parklatz überquere und den Strandaufgang über die Dünen hinauflaufe, als ich an meine linke Ferse greife und einen Schuh abstreife und im Hüpfen den anderen. Während ich die Bänder zusammenknote und das Paar über meine Tasche hänge, bin ich von Jan nur noch einen Steinwurf entfernt, und da dreht er sich zu mir um und hebt schweigend eine Hand.
Ich fahre Jan durch seine Haare, ich sehe zum Himmel hinauf, der sich verdunkelt hat, erste dicke Tropfen treffen uns. Heiner kommt aus dem Wasser gelaufen und schreit, dass er Hunger hat. Er wälzt sich durch den Sand, Jan schaufelt ihn ein. Ich werfe mich über die beiden, drehe und wende mich, zerre an Jans Armen, an Heiners Beinen, an seinen Zehen. Heiner zieht an meinen Haaren, der Regen schlägt auf uns, wir ringen und lachen und ziehen und zerren. Jan greift nach einer leeren Colaflasche und zieht sie mir über den Schädel, als ich gerade Heiner zu fassen bekomme, der meine Tasche an sich drückt, aufspringen will, mit ihr fortlaufen. Wir fallen zusammen, wieder übereinander in den warmen, feuchten Sand. Aus Heiners Haaren tropft das Wasser auf mein Gesicht. Seine Haut durchfeuchtet mein Shirt. Heiner japst Hunger,
Hunger! Ich ziehe meine Tasche an mich heran, schwer atmend unter der Last von Teilen der zwei Körper über mir. Ich bekomme eine Handvoll Schokoladenriegel zu fassen und reiche sie weiter. In verschiedene Himmelsrichtungen verstreut glotzen wir mit überstreckten Hälsen auf Düne, Strand, Ufer und Meer und kauen still. Am Horizont steigen Prilblumen aus dem Meer auf. Und als ich denke, ich will uns welche pflücken, da wache ich auf.
Tief dringt der Schauer nicht ein, der Sand ist unter der fingerdicken feuchten Schicht noch trocken und warm von der Sonne dieses Tages. Die Tropfen schlagen gleichmäßig kleine Kuhlen in den Sand und wellen ihn.
© Dörlemann Verlag, Zürich
Jury
Sabine Dörlemann, Miriam Hefti, Stephan Probst, Daniel Rothenbühler, Liliane Studer, Ulrike Ulrich, Alexandra von Arx
Moderation: Michael Guggenheimer